Montag, 31. Oktober 2016

Die Sprache ist der Schlüssel


Nr. 8





Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista



15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017



Mein Büro



Die Sprache ist der Schlüssel



Meine ersten Tage an der Universidad Austral de Chile:

Ananda (meine Projektpartnerin) holt mich um 8 Uhr ab und wir fahren zur Uni. Theo und ich haben ja noch kein eigenes Auto und zu dem Zeitpunkt auch noch keine Ahnung, wie schwierig sich der Autokauf gestalten wird. Francisco, einer von Anandas Masterstudenten verteidigt seine Arbeit. Als Beurteiler sind dabei: Ananda als Betreuerin, Gustavo Monti (Prof. für Epidemiologie) und per Videokonferenz Markus (Nachnamen habe ich vergessen), der Professor an einer Universität in Brasilien ist und einige Zuhörer. Alles sehr offiziell und alles auf spanisch und portugiesisch. Ich verstehe nichts. Offenbar läuft es gut, alle machen ein sehr zufriedenes Gesicht, es sieht nach Gratulation aus. Für die Mitarbeiter des Labors von Ananda gibt es zur Feier des Tages Pizza. Ich bin auch eingeladen, ich schüttele viele Hände und stelle fest: alle sind unglaublich nett und zuvorkommend, aber kaum jemand spricht Englisch.

Erschwerend zu meinen ganz geringen Spanischkenntnissen kommt, dass die Chilenen unglaublich schnell sprechen und die Hälfte der Wörter verschlucken. Mit dem was ich was ich früher für Spanisch gehalten habe, hat das für meine Ohren noch wenig zu tun. Es kommt mir alles ziemlich spanisch vor!



Am zweiten Tag findet eine lokale Konferenz statt, bei der viele untergraduierte und postgraduierte Studierende ihre Projekte vorstellen. Zumindest die Masterstudenten sind dazu angehalten, Ihre Vorträge auf englisch zu halten. Bis zur Mittagspause habe ich 15 Präsentationen hinter mir, alle auf Spanisch, zu schnell, zu leise: nix verstehen! Irgendwie bringt das nichts. Theo hilft! Er hat ganz schreckliche Kopfschmerzen, eine ausgewachsene Grippe (noch von Deutschland eingeschleppt), Schmerzmittel aus unserem eigenen Fundus helfen nicht, jetzt brauchen wir den Schmerzmittel-Hammer! Wir fahren in die Clinica Alemana. Bevor Diagnostik gemacht wird, gibst gleich ein Schmerzmittel mit Hammerwirkung. Die Kopfschmerzen werden besser. Wir warten ein paar Stunden (vor allem die Radiologen lassen sich sehr viel Zeit mit der Beurteilung) und ich lerne ganz viele Spanischvokabeln, weil wir die Untertitel von den Nachrichten, die dort auf mehreren Bildschirmen gezeigt werden, übersetzen. Rumtrödeln ist nicht drin, learning by waiting!



Die Klinik



Dr. Mieres ist der Chef von der Kleintierklinik und macht vor allem bildgebende Diagnostik. Auch er ist unglaublich nett, spricht aber leider kein Englisch. Aber er organisiert alles für mich und kümmert sich. Auch Lorena, die Vorstandsassistenz hier, ist ganz reizend und sorgt dafür, dass es mir an nichts fehlt. An meinem ersten offiziellen Tag in der Klinik gibt es ein tolles offizielles Willkommensfrühstück mit Torte, an dem alle Professoren der Kliniken (Klein- und Großtiere) teilnehmen. Ich bin sehr gerührt. Viele der anderen Professoren, unter anderem die beiden anderen aus der Kleintierklinik Dr. Thibaut und Dr. Ojeda sprechen zu meiner Erleichterung Englisch. Glück gehabt. 😊 Das hilft. Daneben arbeiten in der Klinik noch viele andere Tierärzte und Helfer. Darunter Danae, sozusagen als Assistenztierärztin, macht aber keine Lehre. Und dann gibt es noch drei Residents (heißen zwar Residents, die Residency dauert aber nur 1 Jahr und ist eher mit einem Internship bei uns vergleichbar), Interns (keine Ahnung, was deren Aufgabe hier in der Klinik ist), Nachtdiensttierärzte, Tierarzthelfer, Tierpfleger, Verwaltungsangestellte, …. Es wird wohl noch ein bisschen dauern bis ich das System so ganz verstanden habe.



Morgens um 8 Uhr finden „Rounds“ statt. Da stellen die Studierenden ihre Patienten vor, neue Patienten werden vom Nachtdienst übergeben, der Tag wird organisiert. Naja, ich verstehe halt auch hier nur Bruchstücke. Aber nichts desto trotz werde ich von Anfang an integriert und bei internistischen Patienten um meine Meinung gefragt. Ein einigermaßen fundiertes Statement (natürlich auf englisch) abzugeben, ist halt schwierig, wenn mir der Sachverhalt noch einigermaßen schleierhaft ist.

In der Klinik mit den Studierenden zu arbeiten, finde ich toll. Allerdings sprechen von den chilenischen Studenten die wenigsten Englisch. Wenn von einer Vorlesung nur Teile verstanden werden, ist das nicht ideal aber auch nicht so schlimm. Aber wie kann ich sicher sein, dass sie mich richtig verstehen und dass es nicht durch ein Problem in der Verständigung zu groben Fehlern kommt? Ich versuche es mit der Erstellung detaillierter schriftlicher Behandlungspläne. Eine große Hilfe in den ersten Wochen sind zwei Praktikantinnen aus Spanien. Marta und Julia (aus Zaragozza und Valencia) sprechen englisch und helfen in ganz vielen Situationen. Auch wenn es um praktische Dinge geht, z.B. das Legen einer Ösophagussonde. Julia übersetzt meine englischen Erklärungen für die chilenischen Studierenden. Vor allem die Studentin, die dabei mitmacht, sollte ja verstehen, was sie tun soll. Klappt gut, dauert halt lange. Aber wenn alles genauso wäre wir daheim, hätte ich ja gleich dableiben können.



Centro de Idiomas



Dr. Mieres und Lorena kümmern sich auch um die Organisation meines Sprachkurses beim Centro de Idiomas. Ich bin begeistert davon, dass dieser bald starten soll. Zuerst muss ich mich jedoch einem Einstufungstest unterziehen. Oje, die Chilenen lieben Tests und Protokolle. Mal sehen. Ich komme zum Centro de Idiomas, sitze allein in einem Zimmer (vermutlich damit ich nicht spicken kann!) und muss einen schriftlichen Test ablegen. Der ist ziemlich bescheuert, die häufigsten Verben im Präsens zu konjugieren schaffe ich gerade noch. Dann kommt eine junge Professora, wenn es hoch kommt vielleicht 20, und versucht, eine Unterhaltung mit mir zu führen. Sie spreche weder Englisch, noch Deutsch, noch Französisch, sondern ausschließlich Spanisch – es kann doch nicht sein, dass jemand eine Fremdsprache unterrichtet, der selber nie eine gelernt hat! Auch die Sekretärin spricht kein Wort Englisch (wir sind ja nur im Centro de Idiomas). Ordnung muss ein: Der Test müsse jetzt erst ausgewertet werden und dann könne entschieden werden, welcher Kurs für mich der beste sei. Nach drei Tagen endlich kommt das Ergebnis des Tests: Grammatik sehr gut, nicht so gut im Verstehen der gesprochenen Sprache und es hapert noch dabei, mich auf Spanisch auszudrücken. Was für eine Überraschung, wer hätte das gedacht! Ergebnis ist, dass ich einen Intensivkurs Spanisch erhalten werde: Drei Mal in der Woche von 9 Uhr bis 11 Uhr über 3 Wochen. Das wiederum finde ich großartig.  



Die Forschung



Und dann ist da ja auch noch das Forschungsprojekt. Wir haben es seit einem Jahr vorbereitet, Ananda war im Mai in München, ich war im Juni in Valdivia. Alle meine Projektpartner: Ananda, Gustavo, Miguel und Javier sprechen hervorragend Englisch. Nach der ersten Besprechung vor Ort kann es deswegen direkt losgehen mit dem Sammeln von Proben. Herzvorragend! Wie es wohl wäre, wenn wir uns nicht in einer Sprache verständigen könnten? Es wäre schlicht und ergreifend nicht möglich.



Die Quintessenz



Die Studierenden, die im 2-Wochen-Rhythmus durch die Klinik rotieren, werden wegen mir sicherlich nicht plötzlich alle Englisch lernen (aber vielleicht kann ich sie ja etwas motivieren) und auch nicht die anderen Mitarbeiter der Klinik nicht. Ich habe es in der Hand, die Situation zu ändern und lerne jetzt wie verrückt Spanisch. Ohne die Sprache werde ich keinen Zugang zu den Menschen bekommen. Ich freue mich über jede kleine Konversation, die klappt und über jede Situation, in der ich mich irgendwie auf Spanisch ausdrücken kann. Es hilft natürlich ohne Ende, dass ich mit Theo den besten Spanischlehrer, den es überhaupt gibt, an meiner Seite habe. Wird schon noch ein bisschen dauern, aber poco a poco. Zumindest können wir Franken das „r“ mindestens genauso gut rollen wie die Latinos!



Noch eine Quintessenz:



Internationalisierung bei Forschung und Lehre ist kein Selbstläufer. Es braucht den guten Willen und die Bereitschaft von beiden Seiten. Jemand von außen zu integrieren ist mühevoll, wie auch sich selbst den anderen Strukturen anzupassen. Meine Kollegen hier in Valdivia geben sich alle Mühe – ich versuche, es ihnen so leicht wie möglich zu machen in dem ich schnell Spanisch lerne!



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Donnerstag, 27. Oktober 2016

alles nicht so einfach


Nr. 7



Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista



15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017





Alles nicht so einfach.



5.10.

Ankunft in Valdivia. Isabel, die Maklerin, die uns die Wohnung besorgt hat, kümmert sich reizend um uns. Sie übergibt uns die Wohnungsschlüsse, ein Bett und zwei Sofas hat sie uns schon besorgt! Für den Mietvertrag braucht sie die Daten von der Rossi. Und eine chilenische Personalausweisnummer, RUT, haben wir aber noch nicht. Gut, meint Isabel, geht vorläufig auch ohne.



7.10.

Isabel will mit dem Mietvertrag vorbeikommen; geht aber nicht, ich muss erst mal ins Krankenhaus (Clinica Alemana, hat einen guten Ruf, ist ganz ok).



8.10.

Isabel schickt uns den Mietvertrag per Mail. Wir füllen ihn aus.



9.10.

Versuch die Miete (1 Monatsmiete Kaution, ½ Monatsmiete Provision, 2 Monatsmieten für Oktober und November) zu überweisen. Fehlt aber noch der Swift-Code, BIC.

Isabel will sich erkundigen.



11.10.

Isabel schickt uns den Swift-Code.



12.10.

Erster Versuch einer Überweisung, in chilenischen Pesos, die Währung kann man online anklicken.



13.10.

Die Überweisung kommt zurück, chilenische Pesos gehen nicht.

Müssen US$ oder Euro sein.

Wir versuchen es mit Euro. Nix passiert, also nochmal in US$. Wieder passiert nix.

Isabel sagt, sie hätte für uns einen Subaru Outback, für 3 Millionen. Wäre toll.



14.10.

Mail von unserer Bank in Buttenheim: sie hätten die Überweisung in Euro noch stoppen können, US$ sind ok (oder umgekehrt). Das Geld wird von unserem Konto abgebucht.

Ich sage Isabel, das Geld ist unterwegs.



15.10.

Ich schaue mir den Subaru an, wir würden ihn nehmen. Baujahr 2001, 200.000 km.

Doch wie bezahlen? So eine Überweisung nicht noch einmal. Wie kommen wir an Bargeld?

Ein anständiger Gebrauchtwagenkäufer zahlt nur in bar!



17.10.

Isabel ruft an, Geld ist noch nicht angekommen. Wir schreiben der Bank in Buttenheim. Wir sollen Geduld haben, es kann schon fünf Tage dauern.



19.10.

Es ist schon langsam peinlich. Isabel ist noch geduldig. Wir beschließen eine Notlösung. Um Vertrauen herzustellen. Wir gehen mit vier Kreditkarten zum Geldautomaten und holen 800.000 Pesos, mehr als 200.000 rückt der Automat nicht raus. Ich übergebe das Geld an Isabel – sie ist etwas erleichtert. Wir auch.



21.10.

Immer noch kein Geld da, wir schreiben unserer Bank in Buttenheim. Keine Antwort.

Wie kommen wir nun an 3.000.000 Pesos, in bar?

Western Union! Ich gehe zu 4 Western Union Büros – bis ich das richtige gefunden habe. Ich kann mir aber selber kein Geld schicken, also müsste ich es erst dem Hansi oder dem Dietmar überweisen. Es kann mir nur eine dritte Person schicken.

Und es ist wahnsinnig teuer, 10%. Mindestens. Auch keine Lösung!



23.10.

Wir schicken der Isabel den Kontoauszug, in dem die Überweisung ersichtlich ist. Sie will damit zu ihrer Bank gehen, wo denn das Geld geblieben ist.



25.10.

Ich rufe von meinem deutschen Handy die deutsche Service Nummer von Amex in Frankfurt an. Die sind sehr hilfsbereit und an das Telefon geht ein echter Mensch, kein Automat! Aber nein, mit dem Bargeld können sie uns auch nicht helfen, früher ging das, jetzt nicht mehr.



26.10.

Isabel war bei ihrer Bank. Das Geld wurde wieder zurückgeschickt. Irgendwas hat an der Adresse nicht gestimmt. Auf unserem Konto ist es nicht wieder gelandet.



27.10.

Neue Überweisung mit neuer Adresse. Schau mer mal.

Bargeld habe ich immer noch nicht. Ob der Subaru noch auf uns wartet?



Vor meiner Terrasse, im Rio Cruces spielt ein Seelöwe.

Jetzt kommt ein langes Wochenende. Wir fahren nach Chiloe. Traumhaftes Sommerwetter. 27 Grad.

 Sonnenaufgang heute morgen kurz nach sechs - vom Schlafzimmerfenster aus
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Montag, 24. Oktober 2016

Erster Ausflug in die Provinz


Nr. 6

Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista

15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017



Erster Ausflug in die Provinz.



Oder besser gesagt: von der Provinz auf das Land.

Also Valdivia ist ja immerhin die Provinzhauptstadt von Los Rios! Etwa was München für Bayern ist – geteilt durch 10! (Wenn man Seehofer-Fan ist geteilt durch 1000!) Oder so!

Wirr wollen zum Vulkan Villarrica, eigentlich zu den heißen Quellen, den Thermen, das Wetter soll schlecht werden.

Über das Internet (booking.com) buchen wir eine Cabaña in Lican Ray, am Lago Calafquén. Hat im Internet nett ausgesehen, war günstig. Selten hier in Chile, meist ist alles ziemlich teuer! 114 US$ für 2 Nächte – ganz ok, eine Cabaña ganz für uns alleine. (Na ja, man muss wissen, dass das ohne IVA (Mehrwertteuer) ist, die kommt dann noch drauf. Nur ein kleines Schnäppchen also.

Wir nehmen die Straße nach Los Lagos, immer am Fluss Calle Calle entlang. Manchmal erinnert uns die Landschaft an die fränkische Schweiz, meist jedoch an das Alpenvorland.

Auf den Weiden grasen braun-weiße Kühe wie das Simmentaler Fleckvieh, ganz braune wie das Allgäuer Braunvieh (wobei die im Allgäu deutlich hübscher sind), weiß-schwarze und ganz schwarze Kühe. Dazwischen immer Schafe: Schafe mit weißem Kopf, mit schwarzem Kopf, mit schwarzen Beinen und ganz wenige schwarze (eher dunkelbraun). Dazwischen ein paar Ziegen mit ganz wuscheligem Fell. Keine wilden Gauchos, ein paar Bauern auf ihren Traktoren.

Große Rapsfelder leuchten golden in der Sonne und der Ginster ist in voller Blüte.

Meistens Holzhäuser, nicht ganz so verkitscht wie unser Pseudo-Alpenvorland-Stil, aber so ähnlich – für die Touristen halt.

Na ja, dafür bauchen wir nicht nach Chile auswandern, das hätten wir auch einfacher haben können, wenn, ja wenn, da nicht plötzlich die Vulkane wären, die sich wie aus dem Nichts am Horizont wuchtig in den Himmel recken. Ganz weiß, majestätisch, einfach so.








Der Vulkan Villarrica dominiert die ganze Gegend um Pucón. Meist, vor allem tagsüber, schwebt eine Linsenwolke über oder um seinen Gipfel. Wenn gegen Abend die Kraterspitze frei ist, dann sieht man wie sich kleine Wölkchen aus seinem Schlund in den Himmel kräuseln.

Der Villarrica ist mit seinen 2840 m ein ausgesprochen aktiver Vulkan. Der letzte Ausbruch fand im März 2015 satt. In der Stadt finden sich große Hinweisschilder über die Evakuierungsrouten und weniger gefährdete Gebiete.

Ein Sonnenuntergang über dem See hat uns schönes Wetter für den nächsten Tag versprochen.



Unsere Cabaña war noch putziger als auf den Fotos im Internet; es war als hätten wir uns bei den Hobbits eingemietet. So eine Mischung aus Erd- und Lehmhäusern, liebevoller Eco-Retro-Stil – mit entsprechenden Stilbrüchen, aber reizend, nett, gemütlich, ganz prima.







Am nächsten Morgen Pucón. Der Vulkan zieht einen magisch an. Nix Thermen, eine kleine Wanderung, zumindest bis zur Schneegrenze. Großes Kino!



Auf dem Grasdach, direkt über der Eingangstür unseres Hobbit-Häuschens, hat eine Traile ihr Nest gebaut und brütet auf vier Eiern. Der Traile ist ein Bronzekiebitz (Vanellus chilensis), ein mit einer Körperlänge von 37-38 Zentimetern sehr großer Vertreter aus der Familie der Regenpfeifer. Interessanterweise sind es drei Vögel, die da einen Hausstand gegründet haben, eine(r) bebrütet die Eier, die anderen beiden verteidigen mit großem Geschrei und Ernsthaftigkeit das Nest. Ménage à trois.





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Montag, 17. Oktober 2016

in ein neues Leben hineingefallen


Nr. 5



Wir sind irgendwie in ein neues Leben hineingefallen.







Nein, es fühlt sich nicht an wie eine Urlaubsreise, zwei Koffer packen, die Nachbarn bitten, die Blumen zu gießen. Heimkommen ist später, nicht bald. Es ist irgendwie der Fall in ein ein neues Leben. Man ist nicht Gast, nicht der Vorbeigehende, nicht der Zaungast mit einem scheuen Blick auf die Veranda der Einheimischen. Man ist irgendwie Teil, man ist hier eben auch, wie alle. Woher sie auch kommen. Man hat eine Adresse, eine Wohnung, einen chilenischen Personalausweis (die Rossi), langsam kennt man die Supermärkte und kleinen Läden, dort wo es auch Roggenmehl gibt, man kennt langsam die Einbahnstraßen, man bekommt Fixpunkte bei der Orientierung (zum Beispiel die ohne Ende hässliche Kirche auf dem zentralen Platz von Valdivia!)

Irgendwie wie sind wir hier aus dem Himmel gefallen und ganz weich aufgeschlagen. Alle haben uns geholfen, mit offenen Armen empfangen: Ananda (unser Kontakt Nr.1, sowieso, und hat einen Tisch und drei Stühle gebracht), Isabel (hat sich eh um alles gekümmert!!!), Pablo, José, Jens, viele andere mehr.

Der Taxifahrer hat uns einen Mietwagen besorgt, der Pförtner grüßt uns herzlich, und alle sind bemüht, uns irgendwie weiter zu helfen.

Uns! Den Ausländern! Wenn wir das Licht im Auto brennen lassen, dann klingelt der Nachbar an unserer Tür. Super, Danke!!!!

Wenn man da ist, richtet man sich ein – ein bisschen zumindest! Na ja, einen Wäschetrockner und ein Bügeleisen, Kerzen für die Gemütlichkeit, ein kleines Tischchen für den Balkon, Schlappen (Puschen) für die Gemütlichkeit! Stühle und eine Matratze für die Gäste. Und sonst noch 1000 wichtige Sachen, so eine kleine Kaffeekanne, bei der man von oben so ein Sieb reindrücken muss.

Man ist ja nicht auf der Flucht.

Das „alte“ Leben ist langsam immer weiter weg. Das „neue“, das ist es, was gerade zählt, was einen fordert, beschäftigt. Und dann auch noch alle die neuen Eindrücke verarbeiten: die kleinen grünen Papageien wohnen auch hier, sind meine Nachbarn. Und die Schwäne mit den schwarzen Hälsen. Und das Essen im Restaurant ist schlecht und teuer (nur der erste Eindruck!). Aber das ist jetzt unsere neue Welt, in die wir gerade hineingefallen sind!



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Erde und Wasser


Nr. 4



Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista

15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017





Erde



Das stärkste je in der Geschichte der Menschheit registrierte Erdbeben hatte eine Stärke von 9,5 auf der Richterskala. Dies geschah am 22. Mai 1960 und traf mit voller Wucht Valdivia.

Der See Riñihue kollabierte vollständig und die meisten Inseln zwischen der Küste und Valdivia waren nicht wieder zu erkennen. Das Erdbeben von 2004 im Indischen Ozean hatte eine Stärke von 9,1. Aufgrund ihrer Definition ist die Richterskala nach oben unbegrenzt, die physischen Eigenschaften der Erdkruste machen aber ein Auftreten von Erdbeben der Stärke 9,5 oder höher nahezu unmöglich, da das Gestein nicht genug Energie speichern kann und sich vor Erreichen dieser Stärke entlädt.“ (Wikipedia)

Der eigentliche Schrecken nach dem Beben war die erbarmungslose Flut, der wenige entkommen sind. Allein in Valdivia gab es 2300 Tote.

Ein ähnlich starkes Erdbeben hat am 16. Dezember 1557 mit einer Stärke von 9,0, ebenfalls in Valdivia, stattgefunden. Will man diese beiden Ereignisse als Zeitreihe verstehen, dann ist hier das nächst Erdbebendieser Stärke in knapp 400 Jahren zu erwarten.

Am 17.9.2015 ereignete sich in Chile ebenfalls ein dramatisches Erdbeben, Stärke 8,5.



Steingewordenes Zeugnis des Brodelns, Schieben und Quetschen im Untergrund sind die Vulkane, die ihre schneebedeckten Spitzen mahnend durch die Wolken in den Himmel schieben. Allein in der Region de los Lagos gibt es 20 Vulkane.

















Calbuco bei Puerto Varas (letzter Ausbruch 2015)



Die Glut im Inneren der Erde hat auch einen Kollateralnutzen. An vielen Stellen, vor allem um die großen Seen, treten heiße Thermalquellen zutage. Sie füllen große Badewannen, wohlfühlen bei 35 Grad.

 



Wasser



Im Januar beträgt die Niederschlagsmenge in Valdivia etwa 60 mm. Der Monat ist damit der niederschlagsärmste des ganzen Jahres. 379 mm fallen dabei durchschnittlich im Juli. Der Monat ist damit der niederschlagsreichste Monat des Jahres.

München zum Vergleich: Im Februar beträgt die Niederschlagsmenge 49 mm. Der Monat ist damit der niederschlagsärmste des ganzen Jahres. Der meiste Niederschlag fällt hingegen mit durchschnittlich 124 mm im Juni. Während also die Regenmenge in der niederschlagsreichsten Zeit in Valdivia in Vergleich zu München das dreifache beträgt, ist in der niederschlagsärmsten Zeit die Regenmenge gerade mal um etwa 20 % höher.

Heute regnet es den ganzen Tag, wie gestern auch. Nebel und Wolken vermählen sich zu einem schweren Grau, das Freude dämpft. Auch die meisten Vögel haben sich zurückgezogen und warten auf die nächsten Sonnenstrahlen. Nur die Schwäre mit den schwarzen Hälsen ziehen durch die Wasser des Rio Cruces unbeirrt ihr Bahn, bald werden sie wohl ihre Jungen großziehen. Ein paar Wasservögel dümpeln stoisch auf dem glatten Wasser. Die Wasser des Himmels entladen sich über dem Land, spülen frisches Nass in die unzähligen Seen und Flüsse. Valdivia – Valluvia.

Valdivia ist von vier navigierbaren Flüssen umgeben: Rio Valdivia, Rio Calle Calle, Rio  Cruces und Rio Cau Cau. Die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit beträgt 82 %.

Der Humboldtstrom schenkte den Seefahrern an der Küste Chiles, wenn sie denn schon ertrinken mussten, ein kaltes Grab. Temperaturen so um die 14 Grad laden auch heute nicht zum Baden ein.


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Mittwoch, 12. Oktober 2016

oft sind es die kleinen Dinge


Nr. 3



Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista

15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017



Oft sind es die kleinen Dinge



Man zieht um. Gut. Von hier nach da. Aber dann stellt sich sehr schnell die Frage: was nimmt man mit? In einem Hotel braucht man kaum mehr als Kleider und vielleicht eine Zahnbürste. Aber in einer leeren Wohnung für ein halbes Jahr?

Und dann spielt man das alte Kinderspiel: ich packe meinen Koffer und tue hinein ....

Ca. 60 kg haben wir vorausgeschickt. Nur, was wollen wir schicken?

Dafür braucht man einen Plan, irgendwelche sinnvollen Regeln!



Regel Nr. 1: nur Sachen, die wir nie mehr zurückhaben wollen!

Regel N., 2: alles andere!



Z. B.: ein 48-teiliges Besteckset aus Thailand, Bronze, im Bambus-Look. (Es war wohl kurz vor der Jahrtausendwende, ich war in Thailand, auch in Siam Rep. Vermutlich war ich der Meinung, dass ich zuhause meinem Leben einen asiatischen Touch geben müsste; ein guter Einstieg wäre ein Bronze-Besteck im Bambusdekor. Ich habe es nachhause geschleppt und – nie wieder benützt. Jetzt, in Chile schon. Bestimmt aber zum letzten Mal.)

Ein paar Töpfe, bei denen beim Kochen die Griffe zu heiß werden, Salatbesteck aus Olivenholz (wahrscheinlich vom Ölberg), eine unseren vielen Schöpfkellen, mein altes Lieblingsmesser, mit Messerschärfer, einen Handmixer bei dem man auch einen Pürierstab einsetzen kann (fand ich schon immer doof!), und irgendwelche Lieblingskochlöffel, die tief in meiner Gunst gesunken sind; über die Jahre.

Na ja, dann noch Sachen für warme und kalte Tage, einen länglichen Stoff, den man auch als Tischdecke nehmen könnte. Wenn man denn einen Tisch hat.

Und da fangen die Probleme an: der Mensch braucht einen Tisch. Nicht alle, aber wir. Vor allem in einer leeren Wohnung!

Auch so dumme Sachen, ein Behältnis für Zwiebeln und Knoblauch, für Obst. Ein lokales Telefon. Man hat nicht immer ein W-Lan. Eimer, Wischmop, Butterschale. Einen anständigen Aschenbecher (für den Balkon!). 1000 kleine Sachen. Vor allem: zuhause weiß ich wo ich was bekomme.

Auto kaufen, ohne Auto geht nix! Gebraucht natürlich. Hauen die einen übers Ohr? Wahrscheinlich. Wie überall. Aber kein Auto kaufen geht auch nicht. Geht eh erst ab dem 8. November, dann hat die Rossi einen nationalen Personalauseis. Es sind halt die kleinen Dinge, die das Leben auch spannend machen, in der Fremde.

Feierabendbier ist vergleichsweise einfach. Prost.



 




Montag, 10. Oktober 2016

schöne neue Welt


Nr. 2



Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista

15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017







Schöne neue Welt



Es ist schon eigenartig. Man lebt 26 Jahre in einer Wohnung, hortet Sachen, hebt auf, was man vielleicht nochmal gebrauchen könnte, stopft alle Löcher, Schränke, Abstellräume und Keller voll – irgendwie merkt man nicht, dass man den Raum um sich herum immer enger macht, man begnügt sich mit kleiner werdenden Dimensionen, man hat ja Platz genug. Man opfert den Raum zehn Jahre alten Farbresten vom letzten Wohnungsstreichen, eingetrockneten Malfarben, alten hässlichen Kacheln, die in der Küche übrig geblieben sind und sonstigem Krimskrams, den man nicht mal mehr auf dem Flohmarkt hätte losbringen können. Eine Wohngemeinschaft der sehr speziellen Art.

Man kauft immer neue Bücher und weil 12 Quadratmeter Bücherregal nicht ausreichen, stellt man sie dann in die zweite Reihe, hinter die anderen. (Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunklen sieht man nicht. Bildungsbürgertapete!)

Man bezieht 20 Jahre lang die SZ und den Spiegel (im Abo). Am Frühstückstisch kann man sie (SZ) nicht lesen, weil der Zusteller sie in den Briefkasten steckt (4 Stockwerke ohne Aufzug), doch man hat das Gefühl zu den Interessierten zu gehören, den Bildungshungrigen, die am Geschehen in Politik, Wirtschaft, FCB .... teilnehmen. Die Bücher kauft man bei der netten Frau Schulz in ihrem kleinen Buchladen um die Ecke (wir wollen ja schließlich nicht, dass die Innenstädte veröden) und man kann auch noch einen kleinen Schwatz mit ihr halten (sie hat zwei süße Katzen).

Meistens habe ich auch immer beim Tengelmann Sprudelwasser gekauft und hochgeschleppt (4. Stock ohne Aufzug)! Wir haben uns dann einen Sprudler gekauft, die Patrone muss man nur alle zwei Monate austauschen. (Vermutlich habe ich auch dazu beigetragen, dass Tengelmann jetzt pleite ist!)



Vor über sechs Jahren ist dann die Rossi eingezogen, natürlich auch mit allem was ihr lieb und teuer war, wer könnte es ihr verdenken! Mehr Buch, mehr Schrank, mehr Kleid, vor allem mehr Schuh! Jetzt haben wir Besteck für 36 Personen (aber nur einen Esstisch für maximal 8!). Überflüssige Töpfe und Pfannen haben wir in den Keller ausgelagert, wo schon ca. 100 Golfbälle, die dazugehörigen Schläger und die alte Puppenküche auf den Neuzugang gewartet haben.



Und dann kam das Projekt: wir sind dann mal weg, ein Jahr oder so. Es wurde eben Chile. Easy, klar, wir hauen den Hut drauf, der Kas is gspitzt, sind dann mal weg.

Und dann ging es los. Wohnung untervermieten, für ein Jahr. Doch wer will schon in eine Wohnung, vollgestopft mit Kleidern, Büchern, was auch immer, einziehen? Und dann begann das große Aufräumen, Wegwerfen, Befreien.

1000 Bücher weg (natürlich nicht alle, ein bisschen Bildungsbürgertum darf schon sein!), die guten zu Oxfam, die schlechten in den Papiercontainer. Das gleiche mit der Kleidung. Den Wein, den wir nicht mehr trinken konnten, haben wir im Keller in Sicherheit gebracht. Im Notfall haben ja die Nachbarn einen Kellerschlüssel. Als wir dann die Wohnung ausgeräumt hatten, war sie so schön wie lange nicht mehr!

Spiegel abbestellt. SZ jetzt nur noch online. Können wir jetzt immer und überall lesen – ohne vier Stockwerke runter laufen zu müssen. Bücher lesen wir jetzt auf dem Kindle und auf dem Tolino. Fernsehen nur online, die Tagesschau können wir uns jetzt immer ansehen, auch den Tatort. Hier, zigtausend km weg von zuhause, können wir uns die Welt so gestalten wie wir wollen. Interessant: Wir sind noch nicht mal eine Woche weg, aber die Nachrichten von und über Deutschland verlieren langsam an Bedeutung.

Allerdings haben wir eine Art von Maschinen-Overkill: 2 MacBook Air, 2 iPhone, 1 Kindle, 1 Tolino, 1 Samsung Tablet, 1 IPad, 2 lokale Handys kommen noch dazu. Na ja, ein Bücherregal wir es nicht füllen.

Als ich in den 70er Jahren nach Venezuela ging war man weit weg (das vor allem habe ich genossen!), heute ist man immer und überall da, wo man auch ist. Man ist verbunden, Email, WhatsApp, Skype, FaceTime, SMS, billiges Telefon. Man kommt dem allen nicht mehr aus! Auch schön, vielleicht auch nicht. Irgendwie sind wir nicht mehr weg, wenn wir weg sind, wir sind da und auch nicht. Man kann sich Welten basteln, Strickmuster des Seins neu erfinden. Ist das die Zukunft?

Alles kann man nicht basteln: Vermutlich habe ich hier den schönsten Arbeitsplatz der Welt, eine grandiose Aussicht – die mich manchmal vom Schreiben abhält. Vor meinem Balkon fliegt eine Schar Papageien vorbei und unten, auf dem Rio Cruzes, ziehen die Schwäne mit den schwarzen Hälsen ihre Jungen goss. Ganz real, ohne neue Internet-Brille. Hammer!