Ganz schön was los hier
Nr. 10
Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista
15.12.2016 – 10.1.2017
25.1.2017 – 15.2.2017
8. November 2016
ich musste Besorgungen machen in der Stadt. An der Plaza war
wenig Verkehr. Aus der Avenida Picarte drang ansteigender Lärm durch die Stadt.
Ein enormer Demonstrationszug wälzte sich auf das Zentrum zu. Menschen mit
Plakaten, Transparenten, Pfeifen, Megaphonen und Vuvuzelas machten ihrem Ärger
Luft. Nach dem ersten Pulk der Protestierenden kamen vielleicht fünfzig
Lastwagen der Müllmänner mit Aufschriften wie diesen: „An den Müllbergen ist die Regierung schuld!“
Der Protestzug war fast 2 km lang, die unterschiedlichsten
Gruppen und Gruppierungen haben sich für diese Demonstration
zusammengeschlossen: Mitarbeiter des Bildungswesens, der vorschulischen
Erziehung, des Gesundheitssektor, , der Gendarmerie, eben der ganze öffentliche
Dienst. Demonstrationen und Streiks sind nicht auf Valdivia beschränkt, die
Proteste ziehen sich über das ganze Land. Mittlerweile türmen sich allerorten
die Müllberge auf, auch in Valdivia, einer sonst sehr sauberen Stadt. In
Santiago stinkt es bereits erbärmlich – bei sehr sommerlichen Temperaturen. Es
kommt zu gewaltsamen Ausschreitungen.
Vordergründig geht es um eine Lohnerhöhung, 3,2 % bietet die
Regierung, die Demonstranten beharren auf 7 %. Die Müllmänner, wenn sie denn
beim Staat beschäftigt sind, verdienen ca. 400.000 Pesos, gerade mal 560 €.
Doch viele Gemeinden haben die Müllentsorgung an externe Dienstleister vergeben
– nach bester neoklassischer Manier! Dort zahlt man ihnen den Mindestlohn,
knapp 280.000 Pesos, weniger als 400 € im Monat. Chile ist teuer, viele Preise
sind wie in Deutschland, oder höher. Das reicht nicht, davon kann man nicht
leben, seine Kinder nicht in die Schule schicken, kaum am sozialen Leben
teilhaben.
Sie verzweifeln am System, sie glauben nicht mehr, dass
diese Politiker was für sie tun. Sie schimpfen auf Bachelet, auf die
verbreitete Korruption und auf die korrupten Politiker, die sie am liebsten tot
sehen würden.
Es geht auch um die Rentenversicherung. Die wurde damals von
Pinochet privatisiert und danach von allen Nachfolgerregierungen Schritt für
Schritt weiter demontiert, die Demonstranten sagen, sie werden systematisch
bestohlen. Latinapress: derzeit
erhalten 90,75% der Rentner niedrige monatliche Renten in Höhe von rund 233
US-Dollar (fast die Hälfte des Mindestlohns).
Wer könnte den
Demonstranten ihre Wut verdenken? Aber das ist kein chilenisches Problem. Die
Welt ist nicht in Ordnung. Allerorten scheinen die Menschen ein Gefühl zu
bekommen, dass da mit dem gesellschaftlichen Gleichgewicht was nicht mehr
stimmt. Man bekommt das Gefühl, dass eine kleine Schicht der Reichen und Superreichen
die Welt gekapert hat, in schöner Piratentradition. Für sie scheinen andere
Gesetze und Regeln zu herrschen als für den Rest der Bürger. Was hat man denn
nach der Finanzkrise (und nachdem man aller Banken gerettet hat – und den
Bankern die Boni), alles versprochen. Manche Banken sind heute mächtiger und
systemrelevanter als vorher. Panama Papers – viel Aufregung und dann: nichts.
Apple und Co. Zahlen nach wie vor keine Steuern. Arme Chilenen schaffen es in
den seltensten Fällen an die Uni. Bildung ist ein Menschenrecht.
2015 gingen die
Studenten in Chile auf die Straße, die Hochschulen waren vier Monate
dicht. Auch meine Kollegen stimmen
überein: das Bildungssystem muss dringend reformiert werden.
Es braut sich was zusammen, auch in Europa. Le Pen, Orban, Erdogan,
Putin, die AFD und alle anderen. Auch Europa hat seine Bindungsfunktion
verloren: Brexit – und dann? Diese Rattenfänger biedern sich mit scheinbar
leichten Lösungen an, die es nicht gibt. Aber mit der Entwicklung mit der wir
uns heute abfinden sollen können viele nicht mehr leben.
Heute ist Wahl in Amerika. Ich habe ein schlechtes Gefühl.
Den ganzen Abend bekommen wir von Forschungsgruppen und sonstigen Wahlanalysten
vorgerechnet, dass Hillary eigentlich gar nicht verlieren kann.
9. November 2016
ich bleibe bis
nach Mitternacht wach. Als dann Florida verloren war habe ich den Fernseher
ausgeschaltet und bin ins Bett. Die Sache ist gelaufen. Ich habe schlecht
geschlafen.
Trump macht mir
Angst. Aber auch hier: es war eine Absage an das „System“, das von Hillary so
perfekt verkörpert wurde.
Besser als jede Politik:
www.vinoval.de
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