Mittwoch, 9. November 2016

Ganz schön was los hier


Ganz schön was los hier



Nr. 10



Vorläufiger Belegungsplan: Casa de la buena vista



15.12.2016 – 10.1.2017

25.1.2017 – 15.2.2017





8. November 2016



ich musste Besorgungen machen in der Stadt. An der Plaza war wenig Verkehr. Aus der Avenida Picarte drang ansteigender Lärm durch die Stadt. Ein enormer Demonstrationszug wälzte sich auf das Zentrum zu. Menschen mit Plakaten, Transparenten, Pfeifen, Megaphonen und Vuvuzelas machten ihrem Ärger Luft. Nach dem ersten Pulk der Protestierenden kamen vielleicht fünfzig Lastwagen der Müllmänner mit Aufschriften wie diesen: „An den Müllbergen ist die Regierung schuld!“








Der Protestzug war fast 2 km lang, die unterschiedlichsten Gruppen und Gruppierungen haben sich für diese Demonstration zusammengeschlossen: Mitarbeiter des Bildungswesens, der vorschulischen Erziehung, des Gesundheitssektor, , der Gendarmerie, eben der ganze öffentliche Dienst. Demonstrationen und Streiks sind nicht auf Valdivia beschränkt, die Proteste ziehen sich über das ganze Land. Mittlerweile türmen sich allerorten die Müllberge auf, auch in Valdivia, einer sonst sehr sauberen Stadt. In Santiago stinkt es bereits erbärmlich – bei sehr sommerlichen Temperaturen. Es kommt zu gewaltsamen Ausschreitungen.



Vordergründig geht es um eine Lohnerhöhung, 3,2 % bietet die Regierung, die Demonstranten beharren auf 7 %. Die Müllmänner, wenn sie denn beim Staat beschäftigt sind, verdienen ca. 400.000 Pesos, gerade mal 560 €. Doch viele Gemeinden haben die Müllentsorgung an externe Dienstleister vergeben – nach bester neoklassischer Manier! Dort zahlt man ihnen den Mindestlohn, knapp 280.000 Pesos, weniger als 400 € im Monat. Chile ist teuer, viele Preise sind wie in Deutschland, oder höher. Das reicht nicht, davon kann man nicht leben, seine Kinder nicht in die Schule schicken, kaum am sozialen Leben teilhaben.



Sie verzweifeln am System, sie glauben nicht mehr, dass diese Politiker was für sie tun. Sie schimpfen auf Bachelet, auf die verbreitete Korruption und auf die korrupten Politiker, die sie am liebsten tot sehen würden.





Es geht auch um die Rentenversicherung. Die wurde damals von Pinochet privatisiert und danach von allen Nachfolgerregierungen Schritt für Schritt weiter demontiert, die Demonstranten sagen, sie werden systematisch bestohlen. Latinapress: derzeit erhalten 90,75% der Rentner niedrige monatliche Renten in Höhe von rund 233 US-Dollar (fast die Hälfte des Mindestlohns).



Wer könnte den Demonstranten ihre Wut verdenken? Aber das ist kein chilenisches Problem. Die Welt ist nicht in Ordnung. Allerorten scheinen die Menschen ein Gefühl zu bekommen, dass da mit dem gesellschaftlichen Gleichgewicht was nicht mehr stimmt. Man bekommt das Gefühl, dass eine kleine Schicht der Reichen und Superreichen die Welt gekapert hat, in schöner Piratentradition. Für sie scheinen andere Gesetze und Regeln zu herrschen als für den Rest der Bürger. Was hat man denn nach der Finanzkrise (und nachdem man aller Banken gerettet hat – und den Bankern die Boni), alles versprochen. Manche Banken sind heute mächtiger und systemrelevanter als vorher. Panama Papers – viel Aufregung und dann: nichts. Apple und Co. Zahlen nach wie vor keine Steuern. Arme Chilenen schaffen es in den seltensten Fällen an die Uni. Bildung ist ein Menschenrecht.

2015 gingen die Studenten in Chile auf die Straße, die Hochschulen waren vier Monate dicht.  Auch meine Kollegen stimmen überein: das Bildungssystem muss dringend reformiert werden.

Es braut sich was zusammen, auch in Europa. Le Pen, Orban, Erdogan, Putin, die AFD und alle anderen. Auch Europa hat seine Bindungsfunktion verloren: Brexit – und dann? Diese Rattenfänger biedern sich mit scheinbar leichten Lösungen an, die es nicht gibt. Aber mit der Entwicklung mit der wir uns heute abfinden sollen können viele nicht mehr leben.



Heute ist Wahl in Amerika. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Den ganzen Abend bekommen wir von Forschungsgruppen und sonstigen Wahlanalysten vorgerechnet, dass Hillary eigentlich gar nicht verlieren kann.







9. November 2016



ich bleibe bis nach Mitternacht wach. Als dann Florida verloren war habe ich den Fernseher ausgeschaltet und bin ins Bett. Die Sache ist gelaufen. Ich habe schlecht geschlafen.

Trump macht mir Angst. Aber auch hier: es war eine Absage an das „System“, das von Hillary so perfekt verkörpert wurde.



Besser als jede Politik:


www.vinoval.de

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