Freitag, 23. Juni 2017

Medellín und das Kaffeeland

34 Medellín und das Kaffeeland

Medellín
Botero - Botero Platz
Botero hat schon eine ganz eigene Sprache. Was im ersten Moment so dick, pausbackig daherkommt, aus allen Nähten zu platzen scheint gibt hinter der Fassade einen Blick frei auf viele Widersprüche dieser Gesellschaft. Gesichtsausdrücke, die in Formalität erstarren, Menschen, die sich eher zugeordnet begegnen als sich zugeneigt sind, die trotz Nähe nur Trennendes ausstrahlen. Bei all der vordergründigen Wuchtigkeit (und Wichtigkeit) übersieht man gerne die Hintergründe, die Spiegelbilder der Banalitäten.
Botero Leda und der Schwan
Mona Lisa
Boteros Mona Lisa transferiert das unendliche Lächeln des Originals in die Welt einer erwachsenen Puppenstube und einer angefressenen Fassade, die das Hohle verdecken soll.
Bei Boteros Leda und der Schwan wird Leda nicht von Zeus verführt, Verführung als eine der höchsten kommunikativen Künste des Menschen, sondern fantasielos platt gemacht, Geschlechtsverkehr Auge in Auge, mit stechendem Blick.
Botero Platz
Hier auf dem Botero-Platz von Medellín versammelt Botero all die Banalitäten und Banalen der Gesellschaft: Der feine Herr mit Melone und den viel zu kleinen Patschhänden, die gerade mal den Stock halten, aber ansonsten zu nichts zu gebrauchen sind. Oder die feine Dame in ihrem Dirndlverschnitt, die nicht merkt, welcher Lächerlichkeit sie sich preisgibt. Ganz große Kunst!
Medellín ist die Heimat von Botero, hier ist er 1932 geboren. Der Reiseleiter, mit dem wir eine Tour durch Medellín gemacht haben, erzählte uns, dass der „Maestro“ all die Skulpturen auf dem Botero-Platz seiner Heimatstadt geschenkt hat, die Menschen dort danken es ihm mit größter Hochachtung. Die Stadt hat sich dieser Kunst bemächtigt, sie ist Teil des Lebensgefühls geworden.
Botero Platz

Das Botero Museum
Museal, aber nicht weniger interessant, ist das Botero-Museum in Bogotá. Neben der großartigen Präsentation einiger Skulpturen kann man hier vor allem den Maler Botero bewundern. Ganz besonders hat es mir die Mona Lisa angetan. Diese Transformation der Hintergründigkeit ins Banale, der hohlen Würde schaler Schein.

marginal und modern
Medellín ist eine schwierige Stadt, der man sich nur schwer nähern kann. Eine 2,5-Millionen Metropole, die sich in 1500 m Höhe zwischen steile Andenhänge hineingezwängt hat. So ein Zentrum wie Bogotá oder Lima hat Medellín eigentlich nicht. Der Mittelpunkt ist der Botero Platz, hier dominieren Neo-Stile. Vor allem die neuromanische Basilika, die um 1890 errichtet wurde, prägt das Gesicht dieser Stadt. Irgendwie ein Zentrum, das uns zum Ausgehen animiert hätte, haben wir nicht gefunden – vielleicht waren wir einfach zu kurz in Medellín. Die Stadt ist modern und marginal, beeindruckend und banal. So richtige Sehenswürdigkeiten – außer natürlich der erwähnten Kunst – gibt es eigentlich nicht. Da wird dann schon mal ein winziger Park, in dem man barfuß laufen soll als „sehenswert“ angepriesen. Nun gut.
Museo de Arte Moderno Medellín

Ganz begeistert waren wir von dem Museo de Arte Moderno de Medellín, das praktischerweise direkt neben unserem Hotel war. In einem beeindruckenden modernen Museumsbau ist großartige Kunst untergebracht. Zwei dort präsentierte Künstlerinnen haben mich besonders beeindruckt: Débora Arango und Ethel Gilmour.
Debora Arango

Debora Arango
Ethel Gilmour
Wir verlassen Medellín, haben uns einen Mietwagen genommen, fahren ins Kaffee-Land. In das Quindío. Dieser Landstrich ist eine großartige Kulturlandschaft, die vor allem vom Kaffeeanbau lebt. Die Kaffeestaude liebt die Höhe und die Bohne braucht auch die frischen Winde dieser eher wilden Mittelgebirgslandschaft, die sich ein einer Höhe zwischen 1000 und 2000 m erstreckt. Der Kaffee gehört zu den Kulturpflanzen, die trotz intensiven Anbaus keineswegs den Eindruck von Monokulturen erwecken. Zwischen all den Kaffeestauden, die sich selbst an die steilsten Hänge klammern, gedeihen Bananen, Yuca, Kartoffeln, Avocado und die leckersten Früchte.

Don Leo, Kaffeebauer

Vor allem aber haben das Quindío und die Kaffeebauern eine ganz einmalige Architektur entwickelt, die diese ganze Landschaft prägt. 

























Diese Häuser sind aus Bambus und Lehm gebaut.  Diese Bauweise ist als Paisa-Stil bekannt, der nach einer Bevölkerungsgruppe der Region benannt ist. Vor allem sind die meist ein- bis zweistöckigen Häuser in den schönsten Farben bemalt.
Salento
Diese ganz einmalige Kunst wurde auch von der UNESCO mit der Anerkennung als Welterbe ausgezeichnet. Davon profitiert natürlich auch der Tourismus, der inzwischen eine hohe Qualität erreicht. Vor vielen Jahren habe ich einmal für die Deutsch-Kolumbianische Handelskammer ein Projekt „Urlaub auf der Kaffeeplantage“ entwickelt. Es hat anscheinend gute Früchte getragen. Die Dörfer Salento, Filandia, Pijao und viele andere sind alle eine Reise wert.
Filandia

Apropos Pijao! Ein kleines, typisches Kaffeedorf mit seiner Plaza, den Kaffeebars und auch den notwendigen kleinen Geschäften. Der Name Pijao war auch der Name der Indianer, die vor 1000 Jahren in diesem Tal wohnten. Ausgrabungen haben eine Reihe von Artefakten, vor allem beeindruckende Tongefäße zutage gebracht, die auf eine ausgeprägte hohe Kultur schließen lassen. Überall sonst wo hätte man diese Schätze gut bewacht in einem Museum untergebracht; hier in Pijao genügt anscheinend eine einfache Vitrine an einem Häusereck. So kann man Kunst auch präsentieren.
Pijao - museale Kunst auf der Strasse

Wie man in Weinbaugebieten Winzer und Weinberge besuchen sollte, so ist der Besuch auf einer Kaffeehacienda ein unbedingtes Muss. Die Kaffeeproduktion in Kolumbien ist ähnlich kleinräumig strukturiert wie der Weinbau in Deutschland. Die meisten Kaffeebauern haben nur wenige Hektar und fast alles wird, vor allem auch wegen der Steillagen, noch von Hand bewirtschaftet. Kolumbien, Quindío, ist das weltgrößte Anbaugebiet für Arabica-Kaffee, die Sorte, die gegenüber dem weit verbreiteten Robusta als die qualitativ bessere gilt. Der Anteil an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche beträgt in Kolumbien etwa 1,8%, ein insgesamt eher überschaubarer Anteil.
Kaffeeverkostung
Während der Robusta-Kaffee sich auch für niedere Lagen eignet, besteht der wesentliche Unterschied im Koffein-Gehalt. Bei dem Arabica beträgt er zwischen 0,8 und 1,5 %, bei Robusta zwischen 1,7 und 3,5%.
Weltweit steht Kolumbien in der Gesamtproduktion an dritter Stelle (15 Millionen Säcke á 60 kg), hinter Brasilien (55 Millionen Säcke) und Vietnam (25 Millionen), wo allerdings hauptsächlich Robusta angebaut wird.
Aber Kaffee ist vor allem ein Genussmittel – über 800 Aromastoffe können sich bei der entsprechenden Zubereitung entfalten. Weltmeister im Kaffeetrinken sind die Dänen, ihre tägliche Koffein Aufnahme beträgt 280 Milligramm, die Deutschen schon ziemlich abgeschlagen bei 200 Milligramm, und die Italiener, wer hätte das gedacht, bei schwachen 127 Milligramm. Wo sie doch eigentlich die Kaffeemaschine erfunden haben? Und schon vor 100 Jahren nach Kolumbien exportiert haben, siehe Foto.
Kaffeeautomat aus Italien
Beim Kaffee vollzieht sich eine ähnliche Entwicklung wie beim Wein. Man kann nicht mehr gut davon leben, die geernteten Bohnen einfach bei der Genossenschaft abzuliefern, kreative Lösungen sind gefragt. Wie bei den Winzern setzen viele nun auf Eigenmarken, Direktvermarktung und arbeiten viele an neuen Aromen und Geschmacksrichtungen.
Bei einigen Führungen und Verkostungen waren wir dabei. Es muss einem ja nicht alles schmecken, aber irgendwie haben sich ganz neue Geschmackswelten aufgetan.
Durch das Quindío zieht sich das Cocora Tal, das sich vor allem durch eine ganz besondere Palmenart, die Wachspalme auszeichnet. Für die moderne Wissenschaft hat sie Alexander von Humboldt 1801 erstmals beschrieben. Die Wachspalme ist die höchste Palmenart der Welt und kann bis 60 m hoch werden. Dabei zeichnet sie sich durch ein sehr langsames Wachstum aus und wird mehrere hundert Jahre alt.
Valle de Cocoa - Wachspalmen
Die Fahrt von Medellín in das Kaffeeland war zwar vom ständigen Kampf mit den schweren Lastwagen begleitet, die sich auch über die steilen und engen Straßen des Gebirges quälten, landschaftlich aber ein großer Genuss. Die üppige Vegetation, die steilen Hänge und tiefen Täler, die Dörfer, die auf dem schmalen Grat der Bergrücken klebten, wilde Wolken, die sich immer wieder vor die Sonne schoben und die eine dominierende Farbe: 1000fach grün!
Stille Tage im Kaffeeland

Und dann kamen wir an in unserer Unterkunft: Wir haben über AirBNB ein Apartment auf einer Finca gebucht. Die Beschreibung und die Bilder sahen toll aus – eine Finca in Bambusarchitektur. Und es war mindestens so schön wir erwartet. Ein großes Schlafzimmer, eine gut ausgestatte Küche, ein sehr gepflegter Garten, eine Terrasse mit Hängematte – es war perfekt.
Und das alles wunderbar gelegen inmitten von Kaffeeplantagen und Bananenbäumen - traumhaft ruhig, aber mit WLAN – genau das Richtige nach den Tagen in den hektischen Großstädten Bogota und Medellín. Yudy, ihre Tochter Natalia und Adelia, eine Freundin von den beiden, haben uns sehr herzlich aufgenommen und uns bei dem ein oder anderen Glas Wein teilhaben lassen an den Freuden und Problemen des Lebens in dieser Region. Das Tüpferl auf dem i waren dann noch die Haustiere: die 2 Katzen Margarita und Gabriel, die uns vom ersten Abend an nicht mehr von der Seite gewichen sind, und Paco, der kleine Hund, der immer mit uns spazieren gehen wollte.
So war das – im Kaffeeland!

Vielleicht sollte man auch Kaffee nur noch aus Vinoval trinken!

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